CDU Ormesheim

Brief aus Indien

Bericht aus Kalkutta über das von uns unterstützte Projekt
Bereits in den vergangenen beiden Jahren hat unser CDU-Ortsverband insbesondere im Rahmen unseres Standes beim Flohmarkt, aber auch durch Spenden, ein Projekt der "Ärzte für die Dritte Welt" in Indien unterstützt. Der folgende Bericht und die Ostergrüße wurden uns von Dr. Tobias Vogt, der an dem Projekt mitarbeitet, übersandt.
Sollten Sie für das Indien-Projekt spenden wollen, können Sie dies gerne tun unter 
"Ärzte für die Dritte Welt"
Kto. Nr. 4888880
BLZ 50060500,
Verwendungszweck: "Kalkutta Nr. 58720WK299"



Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte Ihnen heute einmal mehr aus Kalkutta berichten. Es ist der Karfreitag, der auch in Indien
ein arbeitsfreier Tag ist. Obwohl nur 2 % der indischen Bevölkerung Christen sind, sind doch die
höchsten christlichen Feiertage, Karfreitag und Weihnachten, im ganzen Land arbeitsfrei. Das ist
eigentlich ein schönes Zeichen der Toleranz. Genauso hält es Indien auch mit den höchsten
Feiertagen der muslimischen Minderheit, obwohl diese Minderheit viel grösser ist (etwa 20 % der
Bevölkerung) als die der Christen.
Die hiesigen christlichen Gemeinden sind mir fremd geblieben; man erkennt dort auch keine
koordinierte Arbeit für die Armen. Berührungspunkte mit unserem grossen medizinisch-sozialen
Projekt haben sich nie ergeben. Aber warum soll man nicht an den Feiertag die Leute in den
Armensiedlungen besuchen – allein schon deswegen, weil man sich bei so vielen Patienten, die man
lange nicht gesehen hat, die Frage stellt, was aus ihnen geworden ist.
Darf ich Sie heute einmal mehr mitnehmen auf einen Rundgang durch die Slums ?
Die Slums von Kalkutta und der Nachbarstadt Howrah unterscheiden sich untereinander schon
erheblich. Da gibt es die traditionellen Armensiedlungen, die aus kleinen Häuschen bestehen, die nur
das Erdgeschoss kennen. Das Bild unten zeigt einen Ausschnitt aus einer solchen Armensiedlung,
die ich heute besucht habe. Die Häuschen stehen dicht gedrängt aneinander, sie haben keinen
Stromanschluss, irgendwo in der Siedlung gibt es Gemeinschafts-Latrinen, Wasser kommt aus
Pumpen, die jeweils etwa 100 Meter voneinander entfernt stehen.
Die Probleme dieser Siedlungen sind vor allem die hohe Arbeitslosigkeit der Männer, bzw. die
schlecht ausgebildeten, i.d.R. analphabetischen Männer finden allenfalls Niedriglohn-Jobs. Die Zahl
der Kinder in solchen Siedlungen ist extrem hoch, was natürlich auf der einen Seite ein Reichtum
ohnegleichen ist. Aber Kinder brauchen eben auch Schulen, Kinderärzte, halbwegs ordentliches
Essen – das gibt es hier nicht oder nicht ausreichend für sie.
Die Häuser und Hütten sind klein aber immer voller Leben. Die neugeborenen Kinder sind oft
unterernährt, sie sind in der Regel unter 2.500 gr. schwer. Diese Neugeborenen haben ein hohes
Sterberisiko, es liegt über 10 %. Man sieht viele Kinder mit schweren Vitamin-Mängeln. Öffentliche
Krankenhäuser oder Ambulanzen gibt es nicht. Stattdessen sitzen in diesen Slums allerlei
Quacksalber, so der auf der nächsten Seite abgebildete “Dr. Eqbal Ansari”. Er ist natürlich nicht
wirklich ein “Doktor” wie sein Schild galuben machen könnte. Aber hier kräht ja kein Huhn und
kein Hahn danach wenn sich jemand selbst zum Doktor ernennt. Wir kennen ihn schon lange, er ist
eigentlich ganz nett.
Ich habe im Laufe der Jahre gelernt dass man sich mit den Quacksalbern gut stellen sollte und
versuchen sollte, sie in medizinische Hilfsprogramme einzubinden. Es gibt in vielen Slums keine
andere medizinische Infrastruktur als eben die Quacksalber, und es bringt nichts sich nur über ihre
ständigen Fehlleistungen zu wundern. Es ist langfristig das bessere Konzept, sie anzuleiten bzw.
ihnen bei bestimmten Problemkrankheiten, wie der Tuberkulose, Zusammenarbeit anzubieten. Die
Lebenssituation dieser selbsternannten Doktors muss man dabei immer berücksichtigen – sie wollen
keine Patienten abgeben, denn damit würden sie Einkommen verlieren. Wenn es um wichtige
Seuchenkrankheiten geht, muss man also ein Modell der Zusammenarbeit mit ihnen finden, bei dem
sie sich nicht schlechter stehen als wenn sie den Patienten selbst behandelt hätten (was oft ein
schlechtes Ende für den Patienten bedeutet, daran gibt es keinen Zweifel).
Sie mögen sich nun vielleicht fragen, warum denn in diesen Slums ohne sonstige medizinische
Infrastruktur nicht die deutschen Ärzte arbeiten, es sind ja immerhin sechs deutsche Ärzte ständig
hier. Das tun wir ja. Wir deutschen Ärzte sehen jedes Jahr zwischen 100.000 und 150.000 Patienten
dieser Slums persönlich, und versuchen das Beste für sie herauszuholen. Aber die Slums von
Kalkutta und der Nachbarstadt Howrah sind viel viel zahlreicher und grösser, als dass wir selber für
jeden Slum und jeden Bewohner da sein könnten. Dort, wo wir nicht selber ärztlich präsent sein
können, versuchen wir dieses beschriebene Netzwerk mit den Quacksalbern aufzubauen, damit
wenigstens schwerkranke Patienten Hilfe finden.
Viele Patienten kommen von sehr weit her um in unseren eigenen Ambulanzen behandelt zu werden.
Nicht wenige kommen aus über 100 km Entfernung angereist, fahren “Schwarz” in den überfüllten
indischen Zügen mit. Es tut einem oft in der Seele weh zu hören, was sie hertreibt, wie sie am
Hauptbahnhof übernachten um sich ab 3:00 Uhr morgens vor den Ambulanzen der deutschen Ärzte
einzufinden, dort noch regelmässig von der Mafia zur Kasse gebeten werden, nur um einmal einen
Rat oder eine Behandlung zu bekommen, die ihnen so wichtig wäre. Viele Verhältnisse Indiens kann
auch das Komitee “Ärzte für die dritte Welt” nicht ändern. Manche Strukturen konnten hier
zugunsten der armen Leute im Laufe der letzten Jahre aufgebaut werden, aber das dauert alles lange.
Zurück zum heutigen Besuch in der Armensiedlung. Ich sah ein Kind wieder, das ich einige Monate
aus den Augen verloren hatte. Wir sahen dieses Kind, das Mädchen Musulama, vor einiger Zeit zum
ersten Mal in einem denkbar schlechten Zustand : es war extrem unterernährt mit spindeldürren
Armen, und auch sonst traten die Knochen überall durch die Haut hervor. Die Augen zeigten die
typischen Symptome des schwersten Vitamin A-Mangels, und zusätzlich bestand eine
Lungentuberkulose. Dieses Kind kommt aus denkbar schlechten sozialen Verhältnissen. Es wurde
von uns zunächst Monate gegen die Tuberkulose behandelt und auch Ernährungs-mässig nach allen
Regeln der Kunst aufgepäppelt.
Am Freitag sah ich nun dasselbe Kind in einem deutlich besseren Zustand wieder. Dieses Kind
dürfte nun auch über das in Indien so kritische Kleinkindesalter hinaus sein, in dem soviele Kinder
an Hunger und Infektionen sterben. Die Packung, die das Kind hier in der Hand hält, ist übrigens ein
Paket Kraftnahrung. Wenn ich durch die Slums gehe und Patienten besuche, bringe ich immer einige
solche Pakete Kraftnahrung als Gastgeschenk mit. Diese Zusatznahrung, die man wie Kakao anrührt,
ist in der Bevölkerung sehr beliebt. Uns steht sie duch eine gezielte Spende des deutschen Vereins
pro-interplast Seligenstadt e.V. für solche Zwecke zur Verfügung.
Noch etwas kann amn auf diesem Bild erkennen was mir schon wiederholt aufgefallen ist : manche
Kinder die schlimmes durchgemacht haben lernen so schnell das Lachen nicht. Aber das kommt
dann hoffentlich auch bei Musulama noch wieder.
Am Samstag führte mich der Weg in die Armenviertel von Howrah-Bakra, auch hier zu den
Familien und Haushalten von Tuberkulose-Patienten. Auch dort wohnen viele einfache Leute, und
sie freuen sich immer wenn man nach ihnen sieht.
Manchmal kann man bei solchen Besuchen gleich noch eine kleinere oder grössere Hilfe vermitteln.
So sah ich den unten abgebildeten 18-Jährigen, bei dem einige Tage zuvor eine offene Lungen-
Tuberkulose diagnostiziert worden war. Es ging ihm nicht gut, er war sehr schwach und dünn und
atmete etwas schwer. Die Tuberkulose-Behandlung sollte am gleichen Tag noch beginnen. Ein
Bruder des Patienten war bereits zuvor an einer offenen Lungen-Tuberkulose erkrankt. Nun hörte ich
beim gestrigen Besuch, dass auch die Schwester des Patienten bereits seit zwei Wochen hustet. Also,
das ist keine grosse Frage, da ist die nächste Tuberkulose “im Busch”, und es ist gut dass diese
Tuberkulose bei der Schwester des abgebildeten Patienten durch ein am gleichen Tag organisiertes
Röntgenbild ausreichend früh entdeckt wird, bevor erst eine halbe Lunge zerstört ist.
Eine andere Patientin sah ich nach einigen Monaten der Tuberkulose-Behandlung erstmals wieder.
Etwa drei Monate zuvor war sie halb tot zu mir gekommen. Die linke Hälfte des Bildes auf der
nächsten Seite zeigt diese Patientin an dem Tag vor drei Monaten, als sie das erste mal zu mir kam.
Das damalige Bild habe ich zu Vergleichszwecken noch einmal herausgesucht. An dem Ortstermin
gestern, nach drei Monaten der Tuberkulose-Behandlung, sah ich die Patientin in einem deutlich
gebesserten Zustand wieder. Die rechte Bildhälfte zeigt die Patientin aktuell. Über so etwas freut
man sich natürlich.
So ist es sehr oft bei der Tuberkulose. Man kann an Tuberkulose sterben, aber nur, wenn die Ärzte
schlafen oder wenn Quackselber die Behandlung vermasseln, oder wenn es in einer Gegend gar
keine Ärzte gibt. In einem halbwegs organisierten System reicht eine ganz einfache, standardisierte
und kostenlose Therapie aus um gänzlich zu genesen. Das ist das Glück im Unglück, das
Tuberkulose-Patienten haben : sie können mit wenig Aufwand von einer potentiell tödlichen
Krankheit komplett geheilt werden.
Auch diese Patientin ist uns von einem Quacksalber unseres Netzwerkes zugewiesen worden.
Letztes Jahr haben uns die Quacksalber 596 solcher Tuberkulose-Patienten zur Behandlung
zugewiesen, das ist schon sehr viel. Ich bin froh darüber dass dieses Netzwerk so funktioniert.
Der Ostersonntag Morgen führte mich schliesslich in die Häuserschluchten von Pilkhana. Von jenem
Stadtviertel heisst es, es sei der zweitgrösste innerstädtische Slum ganz Asiens. Dort leben die
Menschen in einer extremen Dichte aufeinander wie man sie sonst wohl kaum irgendwo in Indien zu
sehen bekommt. Dieses Viertel ist städtebaulich ein Albtraum. Der hohe Bedarf an Wohnraum hat
dazu geführt, dass dort inzwischen auch der letzte Baum abgeholzt wurde. In diesem Viertel
wachsen Kinder auf, die nur noch Stein und Dreck und unüberschaubare Massen an Menschen in
viel zu kleinen Behausungen kennenlernen, aber keine Bäume mehr.
In Pilkhana sieht man auch viel Kinderarbeit, zum Beispiel das auf dem umseitigen Bild gezeigte
stupide Einfädeln von Reissverschlüssen. Für 4.000 abgelieferte eingefädelte Reissverschlüsse
bekommt dieser Junge einen Euro.
Auch in diesem Viertel habe ich die Tuberkulose-Patienten unseres Netzwerkes begrüsst. Einige
kleinere medizinische oder soziale Hilfen sind auf solchen Rundgängen immer wieder einmal
möglich.

Zuletzt möchte ich nun noch eine österliche Geschichte erzählen, die von Aparna Porel, einer
inzwischen jungen Frau, die buchstäblich aus der “letzten Hütte”, einer katastrophalen Armen-
Siedlung in Kalkutta, stammt. Wir fanden sie vor Jahren schwer Tuberkulose-krank vor, und es
brauchte zwei Jahre Krankenhaus-Behandlung um sie von ihrer Tuberkulose zu befreien. Allerdings
blieb die linke Lunge so zerstört zurück, dass es auch nach dem Ausheilen der Tuberkulose immer
wieder zum Abhusten von Blut kam. In ihr vormaliges Zuhause, die “letzte Hütte”, wollte sie nicht
mehr zurück; ihr Vater war mittlerweile auch gestorben. Wegen ihres ständigen Bluthustens fand sie
aber auch kein gemietetes Zimmer in Howrah. Wir haben schliesslich wegen des ständigen
Bluthustens ihre linke, funktionell eh wertlose Lunge herausoperieren lassen. Seitdem hat das
Bluthusten aufgehört. Die junge Patientin wurde nun in ein unsere medizinische Arbeit begleitendes
Ausbildungsprojekt übernommen. Dort lernte sie mit grossem Ehrgeiz das Nähen und Stricken an
den entsprechenden Maschinen sowie das Lesen und Schreiben. Eine deutsche Kollegin übernahm
eine Patenschaft für sie, und es fand sich dann auch ein Vermieter für einen 8 Quadratmeter grossen
Raum, den sie sich mit einer anderen jungen Frau teilt. Seitdem sie eine Chance bekommen hat,
arbeitet sie sich mit beeindruckendem Fleiss aus ihrer Armut heraus, wenngleich auch alles in ganz
kleinen Schritten vorangeht.
Die Bilder unten und auf der nächsten Seite zeigen die Patientin zunächst vor anderthalb Jahren,
kurz vor ihrer Lungen-Operation, und dann an diesem Samstag an einer Strickmaschine unseres
Ausbildungszentrums, bei der Anfertigung eines Pullovers zum späteren Verkauf.
Nun hoffe ich, dass ich Ihnen im Rahmen dieser “Rundgänge” wieder einen aktuellen Überblick
über die medizinische und soziale Arbeit des Komitees “Ärzte für die dritte Welt” in Kalkutta geben
konnte. Ich wünsche Ihnen ein schönes Osterfest und verbleibe mit herzlichen Grüssen !
Ihr
Tobias Vogt